Erdogan und Selenskyj am 18. Februar 2025 in Ankara

Vermittlung im Ukraine-Krieg Warum Erdoğan eine Schlüsselrolle hat

Stand: 15.05.2025 06:39 Uhr

Wenn es in der Türkei zu Gesprächen über eine Waffenruhe in der Ukraine kommt, ist das auch ein Erfolg für Präsident Erdoğan. Er hat seinen Einfluss stetig ausgebaut - und genießt das Vertrauen beider Kriegsparteien.

Recep Tayyip Erdoğan fühlt sich wohl auf internationalem Parkett - wie sehr, war auf dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro im November 2024 zu beobachten: Der türkische Präsident flanierte mit seiner Frau auf dem roten Teppich, sprach im Stundentakt mit den Mächtigen der Welt.

Und Erdoğan kann mit seiner und der Rolle seines Landes zufrieden sein. Die Türkei hat sich als Regionalmacht als wichtiger Player auf dem internationalen Parkett platziert.

Beim Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad half die Türkei kräftig mit, zu Assads Nachfolger Ahmed al-Scharaa hält das Land engste Kontakte. Das war diese Woche zu beobachten: Beim Treffen des neuen syrischen Machthabers mit US-Präsident Donald Trump in Saudi-Arabien wurde Erdoğan per Video zugeschaltet. Das Treffen war ein großer Erfolg, die US-Sanktionen gegen Syrien wurden aufgehoben.

Langes Bemühen um Vermittlung

Doch ein Punkt steht ganz oben auf der Agenda des seit über 20 Jahren regierenden Erdoğan: ein Vermittlungserfolg zwischen Russland und der Ukraine. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 strebt er ein Gipfeltreffen zwischen den beiden Staatschefs an. Besonders treue Anhänger Erdoğans haben ihn deshalb schon für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Zwei bisherige Gesprächsrunden in Istanbul scheiterten aber schnell.

Nach einer Fraktionssitzung reagierte Erdoğan auf den Vorstoß des russischen Präsidenten Wladimir Putin, statt einer Waffenruhe gleich Verhandlungen aufzunehmen, und lud die Konfliktparteien in die Türkei ein. Die Türkei sei das einzige Land, das das Vertrauen aller beteiligten Länder genieße, so Erdoğan. Deshalb sei man bereit, Verhandlungen auszurichten und die Gäste einzuladen.

Istanbul sei schon immer ein wichtiger Ort für politische Treffen gewesen, auch schon zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine, erklärt Sinan Ülgen gegenüber der ARD. Der Direktor des Istanbuler Thinktanks EDAM sagt, dass gerade nur in einem Land wie der Türkei verhandelt werden könne.

Guter Draht in beide Lager

Denn Erdoğan halten beide Konfliktparteien für einen ehrlichen Makler. Zu Putin hat er einen sehr guten, auch persönlichen Draht. Putin hat Erdoğan bei den letzten Wahlen auch durch Stundung der Energierechnungen unterstützt. Der Handel zwischen beiden Ländern floriert weiter.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich der NATO-Staat Türkei den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen. Russische Flugzeuge dürfen immer noch in der Türkei landen, russische Kreditkarten können im Land benutzt werden. Immer wieder nahm Erdoğan Putin gegenüber dem Westen in Schutz, sagte sogar im vergangenen Jahr, dass manche im Westen einen neuen Weltkrieg wollten.

Auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj steht Erdoğan im engen Austausch. Mehrfach hat Selenskyj in den vergangenen Jahren die Türkei besucht, zuletzt im März 2024. Die Türkei liefert Waffen an die Ukraine, vor allem die kriegswichtigen Drohnen. Die russischen Gebietsgewinne in der Ukraine hat die Türkei nicht anerkannt.

Vielfältige Initiativen

Erdoğan nutzte diese Sonderstellung der Türkei für weitere diplomatische Initiativen: Es wurden nicht nur Getreideabkommen zwischen beiden Ländern, die wichtige Getreide-Exporteure sind, ausgehandelt.

Immer wieder kam es auch zu spektakulären Gefangenenaustauschen, zuletzt im August 2024, als über den Flughafen von Ankara der größte Austausch seit Ende des Kalten Krieges lief, in dem nach Angaben des türkischen Präsidialamts 26 Personen aus den USA, Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen, Russland und Belarus freikamen.

Auch innenpolitisch nützlich

Für den Politikberater Ülgen sind das alles große Prestige-Erfolge, der türkische Präsident habe sein internationales Ansehen gesteigert. "Das ist in jedem Fall eine positive Entwicklung, sowohl für den Präsidenten als auch für die Türkei."

Auch innenpolitisch helfe ihm das, sagt Ülgen. Denn innenpolitisch ist Erdoğan in den vergangenen Monaten unter Druck geraten. Nicht nur die schlechte wirtschaftliche Lage wird ihm zur Last gelegt. Und die Verhaftungswelle gegen Oppositionspolitiker, darunter der Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu, aber auch Studenten und Journalisten, hatte die größten Proteste im Land seit vielen Jahren ausgelöst.

Doch die wichtige geopolitische Rolle des NATO-Mitglieds Türkei mit der zweitgrößten Armee im Bündnis hat die internationale Kritik bisher weitgehend in Grenzen gehalten. Wie groß die Bedeutung der Türkei als Regionalmacht ist, zeigt auch, dass gleichzeitig mit den geplanten Ukraine-Verhandlungen das informelle Treffen der NATO-Außenminister in Antalya im Süden der Türkei stattfindet.

Unsicherheitsfaktor Trump

Der große diplomatische Poker um die Aufnahme von Friedensgesprächen, er beginnt nun, der Ausgang ist offen. In einer der Hauptrollen ist ganz sicher Trump, aber auch Erdoğan hat eine wichtige Rolle. Da trifft sich, dass beide Staatschefs ähnlich ticken, einen guten persönlichen Draht haben, obwohl sie sich das letzte Mal 2019 getroffen haben.

Doch Politikberater Ülgen bleibt vorsichtig, warnt vor zu viel Hoffnungen. Trump, sagt er, müsse man auch im Hinblick auf seine Unvorhersehbarkeit bewerten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 15. Mai 2025 um 09:00 Uhr.