
Erste Regierungserklärung von Merz Staatsmännisch statt angriffslustig
Als Bundeskanzler schlägt Merz neue Töne an. In seiner ersten Regierungserklärung konzentriert er sich auf die Außenpolitik. Die in der Koalition strittigen Themen umschifft er.
Sollte Friedrich Merz in jenem Moment kurz nach seiner Regierungserklärung ein Pokerface hätte machen wollen - es gelang ihm nicht: Es zuckt doch sichtbar in seinem Gesicht, als Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge ihn auf seinen in der vergangenen Woche verpatzten Start als Bundeskanzler ansprach. Denn Merz wurde zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik, der die erforderliche Kanzlermehrheit erst im zweiten Wahlgang erhielt. "Das ist erheblich, Herr Merz, auch wenn ich verstehe, dass Sie es nicht ansprechen wollten." Das Vertrauen seiner Koalitonsfraktionen sei ihm zunächst versagt worden.
Dabei wird es ihm in seiner ersten Regierungserklärung rund eine Woche später nach dem Rückschlag gelingen, durchaus so souverän am Bundestags-Rednerpult zu wirken, als wäre nichts gewesen. Bereits bei seinen Reisen vergangene Woche nach Paris, Warschau und Kiew schien er spürbar ganz in der Rolle des Staatsmannes angekommen zu sein - ganz in der Tradition von Adenauer und Kohl, die er auch namentlich erwähnt.
Am Tag seiner Regierungserklärung hat der Unions-Parteichef nun die Chance, das Bild von sich als Kanzler nach dem verpatzen Anfangstag zumindest in Teilen neu zu prägen. Und genau da, an der für ihn erkennbar wichtigen Rolle als Chef-Außenpolitiker knüpft er an: "Als erster deutscher Bundeskanzler bin ich am ersten Amtstag auch gleich nach Warschau gereist, um ein Zeichen zu setzen: Unser großer Nachbar im Osten wird für diese Bundesregierung eine ebenso zentrale Rolle in der Europapolitiker einnehmen wie unser großer Nachbar im Westen."
Damit ist sein Schwerpunkt für die Rede gesetzt: Die Weltlage, die Einheit Europas - gerade bei der Unterstützung der Ukraine - die Zukunft der freiheitlichen Welt sind Merz‘ Thema - dem er die meiste Redezeit einräumt. Damit entspricht er auch den Erwartungen und Prognosen, dass eher die Rolle des Weltpolitikers spielen will als sich im Klein-Klein der Innenpolitik zu verlieren. Freiheit, Sicherheit, Wohlstand durch Wirtschaftswachstum - das sind Merz’ Themen und zugleich die ausgehandelte Schnittmenge zur mitregierenden Sozialdemokratie.
Wie integrierend wird er sein, als Kanzler einer schwarz-roten Koalition, fragte man sich im Vorfeld der ersten Regierungserklärung. Einer Koalition, von der Unionsfraktionschef Jens Spahn später im Parlament sagen wird, beide hätten sich das nicht gewünscht und müssten noch üben, zusammen zu regieren. Merz versprüht hier verbale Zuversicht, das dies funktionieren kann. Aber er bindet auch Parlament und Gesellschaft ein: "Wir können alle Herausforderungen, ganz gleich wie groß sie auch sein mögen, aus eigene er Kraft heraus bewältigen."
Was Merz allerdings nicht macht: Steigbügelhalter für Herzensthemen der SPD zu spielen - da hört sein Integrationswille offenbar auf. Er scheint zu denken: Das muss mein neuer Duz-Kollege und Vizekanzler Lars Klingbeil mit der SPD schon selber schaffen. Politische Aufgabenfelder und damit verbundene Begriffe wie "soziale Gerechtigkeit", "Gleichstellung", "Vielfalt, "Kinderarmut", "Altersarmut", "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" (mitunter auch wichtig für wirtschaftliche Erfolge) - diese hört man bei Merz heute nicht. Die Niederungen der Innenpolitik scheint er eher seinen Fach-Ministerinnen und -Ministern im Kabinett überlassen zu wollen. Auch der Klimaschutz, ein großes Thema der Vorgängerregierung, wird nur einmal von Merz angerissen. Bemerkenswert ist auch, dass auch Ostdeutschland nicht vorkommt in dieser ersten Regierungserklärung. Und das, obwohl Ost-Ministerpräsidenten klare Anforderungen an ihn adressiert haben.
Merz kann auch ruhig und verbindlich
Merz hat sich für den Auftakt klar für's Große und Ganze entschieden. Seine Tonlage wirkt dabei eher ruhig und verbindlich, weniger kämpferisch - anders als die des Unionsfraktionschefs Merz, der auch mal laut und frech gegen die Ampelkoalition und seinen Amtsvorgänger Olaf Scholz wetterte - etwa mit "Sie sind ein Klempner der Macht".
Während Scholz bei seiner ersten Kanzler-Regierungserklärung im Dezember 2021 eher der alte Scholz blieb, erfindet sich Merz ein Stück weit neu. Aber er hat es auch leichter, denn er kommt direkt von der Oppositionsbank, während Scholz vom bedächtigen Vizekanzler und Finanzminister unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel auf der Regierungsbank nur einen Platz weiter rutschte.
Diesmal herzliches Lob für Scholz
Doch Merz konnte auch damals schon anders: Nach der "Zeitenwende"-Rede von Scholz kurz nach Putins völkerrechtswidrigem Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 zollte Merz Scholz damals auch Lob - er tut es auch jetzt. "Sie, Herr Kollege Scholz, und Ihre Regierung haben Deutschland durch Zeiten außergewöhnlicher Krisen geführt. Ihre Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war wegweisend und sie war historisch. Dafür gilt Ihnen auch heute und von dieser Stelle aus noch einmal unser Dank, mein persönlicher Dank."
Der Neu-Kanzler wirke damit trotz seiner Oppositionsstänkereien gegenüber Scholz "nicht unaufrichtig", urteilt Politologe Albrecht von Lucke im Gespräch mit tagesschau24. Im Grunde habe Merz an seine Zeitenwende-Replik von damals angeknüpft, sagt der Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik". Merz hat damals Scholz regelrecht applaudiert, die große neue Lage schnell erkannt zu haben.
Nicht nur beim von Anstand getragenen Ton gegenüber Scholz zeigt sich Merz jetzt von einer anderen Seite, er bemüht sich, nicht zu polarisieren und zwischen den neuen Koalitionspartnern strittige Themen wie das Lieferkettengesetz oder die Festlegung des Mindestlohns eher nur zu streifen.
"Jede Zeit verlangt nach neuen Antworten"
Diese Änderung der Tonlage zeigt sich bei Merz zumindest gegenüber dem neuen Koalitionspartnerin SPD schon seit Ende der Sondierungen. Er lobt den professionellen, kollegialen und reibungslosen Wechsel von der alten zur neuen Bundesregierung. Jede Zeit habe ihre eigenen Herausforderungen und jede Zeit verlange nach eigenen und "zum Teil auch neuen Antworten". Hier wird das erste Merz’sche Motiv für seine Kanzlerschaft deutlich: "Diese Antworten für unsere Zeit zu geben, das bedeutet für mich Verantwortung für Deutschland zu übernehmen."
Wo Merz sich treu bleibt, ist bei der Betonung der Wirtschafts- und einer härteren Migrationspolitik - es waren seine Wahlkampfschwerpunkte. Aber er setzt auch hier überraschende Akzente, etwa als er betont: "Ich sage gleichwohl: Deutschland ist ein Einwanderungsland - das war so, das ist so, und das bleibt auch so." Womöglich war das auch ein Signal an die SPD, um weiter Vertrauen zu gewinnen. Merz hat die neue Koalition kürzlich mal "Arbeitskoalition" genannt - und so wirkte er auch: Wenig euphorisch, aber entschlossen, mit den Roten etwas zustande zu bekommen.