Pressefoto: Kontakthof Echoes of 78´(Quelle: Ursula Kaufmann)

Berlin Theatertreffen | "Kontakthof - Echoes of '78": Im Kontakt mit der eigenen Vergangenheit

Stand: 14.05.2025 07:34 Uhr

Meryl Tankard reflektiert mit acht Kolleg:innen einen Pina-Bausch-Klassiker von 1978. Die gealterten Tänzer:innen treffen dabei auf alte Aufnahmen von sich selbst. Das ist auf Dauer etwas redundant, aber oft von berührender Schönheit. Von Fabian Wallmeier

Eine Tänzerin läuft von hinten auf die Rampe zu, ohne Hast und mit gleitenden Bewegungen. Vorn bleibt sie stehen, streicht sich mit beiden Händen gleichzeitig die Haare nach hinten, verzieht den Mund zu einem irren Grinsen, dreht sich langsam zur Seite, dann um, und geht zurück. Eine zweite Tänzerin scheint sie zu begleiten, dreimal so groß und Jahrzehnte jünger erscheint sie wie ein Hologramm, scheint neben ihr zu schweben - oder steht sie vor ihr? Die jüngere Frau macht dieselben Bewegungen wie die alte - noch etwas runder vielleicht, geschmeidiger.
 
"Kontakthof - Echoes of '78", das seit Dienstag beim Berliner Theatertreffen läuft, fußt auf einer Idee der legendären Choreographin Pina Bausch. Schon bei der Premiere von "Kontakthof", das heute als Meilenstein des Tanztheaters gilt, soll sie mit dem Gedanken gespielt haben, das Stück Jahrzehnte später mit denselben Darsteller:innen neu aufzuführen.

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Die eigenen Bewegungen neu interpretiert

Diesen Gedanken hat Meryl Tankard, eine Tänzerin von damals, 46 Jahre später in der Pina-Bausch-Stadt Wuppertal aufgegriffen. Sie und acht weitere Tänzer:innen der Original-Inszenierung treten nun in Kontakt mit sich selbst in jungen Jahren. Schwarz-weiße Videoaufnahmen von damals werden überlebensgroß auf eine kaum sichtbare Gazewand am vorderen Bühnenrand projiziert. Dahinter sind die Tänzer:innen von heute zu sehen, die ihre eigenen Bewegungen von damals nachempfinden, mit den Mitteln ihrer gealterten Körper neu interpretieren.
 
Das originalgetreu nachgebaute Bühnenbild von damals, der Kontakthof sozusagen, ist ein weitläufiger Tanzsaal mit hohen Fenstern und Stühlen an den Seiten. Er lässt auch an Tanzkurse aus der Schulzeit denken, vor allem in den Originalaufnahmen: Die ausdrücklich heteronormative Kontaktaufnahme zwischen jungen Männern und Frauen hat einen ritualisierten, steifen Balz-Charakter. Nach festem Schema wird angebandelt mit dem Gegenüber auf der anderen Seite des Raumes.

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"Verehrte gnädige Frau, Sie sind ja so schön"

Das Altmodische dieses Settings wird unterstrichen durch die Musik: Vornehmlich alte Tanzorchester-Schnulzen sind zu hören: "Verehrte gnädige Frau / Sie sind ja so schön / dass ich mich nicht trau / Sie anzuseh'n", tiriliert etwa Juan Llosa. Hübsch und schmissig ist diese Musik, doch je genauer man hinhört, desto schmieriger wirken sie, vor allem textlich.
 
Nicht nur mithilfe der schon damals antiquierten Balz-Schlager wird in den Ausschnitten aus Pina Bauschs Original-Inszenierung das ritualisierte Geschlechter-Verhalten immer wieder durchbrochen, verzögert, verfremdet. Einmal tritt eine Tänzerin ans Mikrofon, zieht sich mit einer Mischung aus Koketterie und einem Hauch von Wahnsinn am Kleid, dreht sich zur Seite und schreit "Aua" ins Mikrofon. Sie wiederholt das ein paar Mal - ein irritierender Moment der Verfremdung, von denen es etliche gibt.

Pressefoto: Kontakthof Echoes of 78´(Quelle: Ursula Kaufmann)

theatertreffen-echoes

"It's pathetic, Arthur!"

An wenigen Stellen wird die Bühnensituation mit dem Kontrast zwischen damals und heute direkt verbal thematisiert. Einmal faltet eine Tänzerin einen Tänzer ruppig, aber doch liebevoll zusammen, weil er das Hüftkreisen nicht mehr so geschmeidig hinbekommt wie auf der Aufzeichnung von damals. "It's pathetic, Arthur", heißt es. Und vor der Pause setzen sich alle neun auf Stühlen an die Rampe und stellen sich der Reihe nach kurz vor, angelehnt an Kontaktbörsen oder Speed-Dating. Sie nennen ihr Alter (die Jüngste ist 68, der Älteste fast 80), zählen ihre Stärken auf und erzählen, was sie jeden Tag machen. Charmante, witzige Miniaturen, die kleine Einblicke in den persönlichen Alltag und den Umgang mit dem Altern geben.
 
Das eigentlich Interessante ist aber, wie die Tänzer:innen von damals unmittelbar mit ihren damaligen Ichs im Video korrespondieren. In der Szene mit dem "Aua"-Schrei etwa ist die Tänzerin zunächst nur im Ton des gleichzeitig laufenden Videos zu hören, sie bewegt nur die Lippen zu den Lauten, die sie selbst vor fast 50 Jahren von sich gegeben hat. Dann aber wird das Verhältnis umgedreht: Wir hören nun die Tänzerin von heute, während die Videoaufnahme verschwunden ist.

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Berührende Leerstellen

An vielen anderen Stellen entstehen bei dem fließenden Mit-, Über- und Nebeneinander von Bühnen-Performance und Videoaufnahmen offenkundige Leerstellen: die Abwesenheit der elf Tänzer:innen, die 1978 mit dabei waren, die heute aber nicht auf der Bühne stehen. Können sie nicht, wollen sie nicht, sind sie gar schon gestorben? All diese Fragen beantwortet der Abend nicht, sie machen ihn aber zwingend mit aus.
 
So sieht man immer wieder, wie in der Videoaufzeichnung ein Paar endumschlungen tanzt, während auf der Bühne die Tänzerin ins Leere greifend, aber nicht weniger innig die Abwesenheit umarmt. An einer anderen Stelle rennt in der Aufnahme eine Tänzerin voran, eine Gruppe von anderen verfolgt sie. Im Hier und Jetzt fehlt die Verfolgte - und die suchenden Bewegungen der Verfolger:innen greifen seltsam anmutig ins Nichts. Wie diese Leerstellen sichtbar gemacht werden und gleichzeitig in eine andere Art der Schönheit überführt werden, ist sicherlich das Berührendste an diesem Abend.

Pressefoto: Kontakthof Echoes of 78´(Quelle: Ursula Kaufmann)

Kontakthof-Stratmann

Keine Kopie, sondern eine eigenständige Reflexion

Allerdings wiederholt sich dieser Kniff vielleicht ein paar Mal zu oft. Das ist schade, denn die Häufung des Berührenden nimmt den einzelnen Momenten die Chance, dauerhaft zu strahlen. Eine Leerstelle bleibt auch die Bedeutung der ursprünglichen "Kontakthof"-Inszenierung. Man kann sie anhand der Video-Ausschnitte, des Programmhefts und von Angelesenem vielleicht erahnen, doch wirklich erfassen kann man sie nicht. Damit bleibt der Abend zwar etwas erkenntisarm. Andererseits läuft er dadurch nicht Gefahr, zu einer allzu pathetischen Huldigung der von manchen geradezu kultisch verehrten Pina Bausch zu verkommen. "Kontakthof - Echoes of '78" ist keine Kopie, sondern eine sehr eigenständige Reflexion.