
Schleswig-Holstein Flensburg: Diskussion über "Militär-Modul" an Hochschule
Sollen Hochschulen für das Militär forschen? Darüber herrscht Streit an der Hochschule Flensburg. Am Mittwoch (14.05) kommt es zur Abstimmung, ob das Modul "Wehrtechnik" in Zukunft angeboten wird.
In einem kleinen Privat-Atelier in Flensburg zwischen Pinseln und Farbtöpfen mobilisiert sich eine Initiative. Mit Gefühl und Präzision bestreicht Clara Tempel ein Leinentuch. Die 29-Jährige hat an der Europa Universität in Transformationsstudien ihren Abschluss gemacht.
Als sie mit ihrem Tuch fertig ist, steht darauf "Campus ohne Wehrtechnik". So heißt die Initiative von rund 15 Flensburgerinnen und Flensburgern. Viele davon Studenten der Europa Uni und Hochschule Flensburg, Tempel ist ihre Sprecherin. Sie setzen sich gegen das geplante Modul "Wehrtechnik" ein, dessen Einführung am Mittwoch (14.5.) zur Abstimmung steht.
"Campus ohne Wehrtechnik" kritisiert Zusammenarbeit mit Rüstungsindustrie
"Wir leben in einer Zeit, in der rechte Kräfte immer stärker werden und sozial-ökologische Krisen zunehmen", sagt Tempel und blickt auf ihr fertiges Werk. "Gerade jetzt sollten wir an Hochschulen keine Kooperationen mit Rüstungsunternehmen aufbauen, sondern zukunftsfähige Lösungen für eine Welt im Wandel entwickeln."

Clara Tempel ist 29 Jahre alt und Sprecherin der Initiative "Campus ohne Wehrtechnik".
Auch ein Schützenverein ist beteiligt
Im Studiengang Maschinenbau könnten laut Planungen künftig Inhalte wie Kettenfahrzeugtechnik, Ballistik und ABC-Sicherheit (atomar, biologische und chemische Gefahren) gelehrt werden. Dafür soll mit dem Flensburger Rüstungsunternehmen Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft (FFG) zusammengearbeitet werden. Weil für das Arbeiten mit Waffen und Geschützen ein Waffenschein nötig ist, werde auch eine Kooperation mit einem örtlichen Schützenverein diskutiert.
Wehrtechnik wird bereits als Wahlfach angeboten
Seit rund zwei Jahren gibt es an der Hochschule Flensburg bereits ein Wahlfach zum Thema Wehrtechnik. Dabei handelt es sich um einen Kurs im Wintersemester, den Studierende in ihrer Freizeit zusätzlich zu ihrem Studium belegen können. Dafür gibt es laut Hochschule aber keine Creditpoints, die auf das Studium angerechnet werden können. Vor einem Monat habe Maschinenbau-Professor Dietrich Jeschke vorgeschlagen, das Kursangebot als Modul zum möglichen Teil des Studiums zu machen. Diese Idee wurde im Konvent thematisiert, einem internen Gremium der Ingenieurwissenschaften bestehend aus Professorinnen und Professoren, Studierenden und Hochschulmitarbeitenden.
Innerhalb der Hochschule regt sich studentischer Widerstand
Ein Studierendenvertreter innerhalb des Konvents lehnte diesen Vorschlag ab und wandte sich an die Öffentlichkeit. "Ingenieurinnen und Ingenieure sollten das Studienangebot moralisch hinterfragen", erklärt der Studierendenvertreter. Wissenschaft und Militär müssten seiner Ansicht nach getrennt werden.
Über Kontakte kam der Studierendenverteter mit Tempel und weiteren Gleichgesinnten zusammen. Nun machen sie auf dem Campus ihre Ablehnung deutlich. Sie verteilen Flyer und gehen in den Mensen mit Studierenden ins Gespräch. Ihr Ziel: Die zwölf Mitglieder des Konvents davon zu überzeugen, gegen das Modul zu stimmen. In einer von ihnen gestartete Petition haben sie bislang rund 420 Unterschriften gesammelt.

Die Gruppe macht auf dem Campus und in der Stadt auf das Thema aufmerksam.
Initiative beklagt unter anderem Identitätsverlust der Hochschule
In einem offenen Brief wandte sich die Gruppe "Campus ohne Wehrtechnik" am Montag (12.5.) an die Mitglieder des Konvents. Darin erläutern sie folgende Argumente:
- Die Hochschule bekenne sich in ihrem offiziellen Leitbild zu Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Vielfalt. Eine Vertiefung im Bereich militärischer Technik stehe damit aus Sicht der Initiative im klaren Widerspruch.
- Die Gruppe befürchtet nach eigenen Angaben eine Signalwirkung: Dass andere Hochschulen folgen – und damit die bisherige Trennung zwischen ziviler Ausbildung und militärischer Ausrichtung aufgelöst werde.
- Wer an der Hochschule künftig Kompetenzen zum Bau von militärischer Ausrüstung vermittelt bekomme, sei auch mitverantwortlich für deren Einsatz. "Es gibt einige Beispiele, wo Kriegstechnik von Rheinmetall oder der FFG auch in Konflikten wie im Jemen oder Syrien genutzt wird", sagt Tempel. Darüber sollten sich die Studierenden nach Auffassung der Gruppe bewusst sein.
- Kritisch sieht die Initiative auch die geplante Finanzierung der Professur. Nach aktuellem Stand soll die Vertiefung über eine Stiftungsprofessur ermöglicht werden – eventuell gefördert durch die FFG. "Wir wissen aus anderen Fällen, dass Hochschulen oft Schwierigkeiten haben, solche Professuren nach Ablauf der Förderung weiter zu finanzieren", so Tempel. Dies könne dann auf Kosten bestehender Stellen oder Lehrinhalte gehen.
Ein offizielle Statement der Hochschule wird nach der Entscheidung erwartet
Eine detaillierte Antwort der Hochschule blieb bisher aus. In einer Mitteilung der Hochschule betont Sprecher Torsten Haase, dass es sich um eine "mögliche Vertiefungsrichtung als Wahlpflichtmodul handelt und nicht um die Einführung eines eigenständigen Studiengangs". Es werde kein weiteres Statement geben, bis die Entscheidung am Mittwoch im Konvent getroffen wurde, so Haase weiter.

Die Hochschule äußert sich erst, wenn das offizielle Ergebnis feststeht.
Die geplante Entscheidung an der Hochschule Flensburg geht einher mir einer bundesweiten Debatte über sogenannte Zivilklauseln. Das sind Selbstverpflichtungen von Hochschulen, keine Forschung oder Lehre für militärische Zwecke zu betreiben. Rund 70 Hochschulen in Deutschland haben solche Klauseln in ihren Leitbildern verankert. Doch seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stehen viele dieser Regelungen auf dem Prüfstand. In Bayern hat die Landesregierung unter Führung der CSU Zivilklauseln sogar kürzlich untersagt.
Institut für Weltwirtschaft sieht Vorteile in einer Vertiefung
In Schleswig-Holstein befürwortet Stefan Kooths, Ökonom beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), die mögliche Einführung eines "Wehrtechnik"-Moduls an der Flensburger Hochschule: "Das folgt unmittelbar aus der Abschreckungsstrategie, die nur erfolgreich sein kann, wenn sie mit entsprechenden militärischen Fähigkeiten unterlegt ist."

Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft hält die Vertiefung für notwendig, wenn die Aufrüstungsstrategie der Regierung funktionieren soll.
Weiter merkt Kooths gegenüber NDR Schleswig-Holstein an, dass die wachsende Rüstungsindustrie eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften habe: "Wer sich hierzu wissenschaftlich qualifizieren möchte, sollte in einer freien Wissenschafts- und Forschungslandschaft die Möglichkeit dazu haben."
Rüstungsindustrie: FFG erhofft sich Stärkung des Standorts Flensburg
So sieht es auch der örtliche Panzerbauer in Flensburg, die FFG. "Wir sind uns sicher, dass dies die Attraktivität des Standorts Flensburg stärken wird", antwortet das Unternehmen auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein. Das Ergebnis der Abstimmung im Konvent will die Hochschule am Mittwochnachmittag bekannt geben.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 13.05.2025 | 06:00 Uhr